Eine Woche voller Unsäglichkeiten

Schaden an einer Demokratie entsteht nicht nur durch bewusste Umstrukturierung. Auch Unvermögen, fehlende politische Kultur und ideologisch motivierte Entscheidungen tragen dazu bei. Davon zeigt die Regierung Meloni derzeit leider genug.

Putinfreund Berlusconi mutiert zum Risikofaktor der Regierung

Die vergangenen Tage waren reich an Verlautbarungen aus der italienischen Regierung, die ungläubiges Kopfschütteln hervorriefen. Wobei, so ungläubig war es wohl nicht mal, denn alles kam wenig überraschend. Am wenigsten überraschend waren wohl die Äußerungen Berlusconis, mit denen er den ukrainischen Präsidenten Selenskyi diffamierte und zum wiederholten Male zeigte, dass er seinem alten Freund Putin nähersteht als der westlichen Allianz – und auch den Fakten des Ukrainekrieges. Immerhin blieb es diesmal nicht bei einem beschämten Kopfschütteln der europäischen Parteifreunde: Manfred Weber sagte ein Treffen der EVP in Neapel aufgrund von Berlusconis Äußerungen ab. Dabei hatte er noch im Herbst enthusiastisch Wahlkampf für den 86-Jährigen gemacht. Außenminister Antonio Tajani (FI) ist gleichwohl nur wenig zu bedauern, wenn er jetzt gegenüber der EU, der NATO, den USA und den eigenen Koalitionspartnern beschwichtigen darf. Er hat es nie an Loyalität zu Berlusconi fehlen lassen – das ist nun die Folge. Dass Forza Italia sich nicht von ihrer Überfigur emanzipieren kann, liegt am Wesen dieser Partei.

Melonis Minderwertigkeitskomplex gegenüber den europäischen Partnern gefährdet Beziehungen zur EU

Wie weit der Bruch mit den europäischen Partnern reicht, wird noch zu sehen sein. Die Versuche zu kitten und die Solidarität mit der Ukraine keinem Zweifel zu unterstellen, werden umso schwerer fallen, als auch Giorgia Meloni sich zu einigen befremdlichen Äußerungen hinreißen ließ. Hintergrund war das Treffen zwischen Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Wolodimir Selenskyi [https://www.zdf.de/nachrichten/politik/meloni-selenskyi-macron-ukraine-krieg-russland-100.html]. Ungefragt (!) ließ sie verlautbaren, sie halte die Organisation dieses Besuchs für unangemessen. Sie war nicht eingeladen, wurde nicht vorab einbezogen – und schmollte deshalb. Sollte es tatsächlich ein diplomatischer Faux-Pas der beiden europäischen Partnerländer gewesen sein – erst Melonis beleidigter Kommentar ließ Italiens Schwäche offenbar werden. Wenn man nicht bei den Großen am Tisch sitzen darf, ändert sich die Situation nicht dadurch, dass man den anderen Vorwürfe macht und sich öffentlich echauffiert. Dann bleibt man erst recht am Katzentisch. Wer Macron dazu nötig, sich wegen eines Treffens mit dem ukrainischen Präsidenten zu rechtfertigen, wird bei der nächsten Gelegenheit sicher nicht mit Wohlwollen empfangen. So etwas sollte man intern regeln.

Es stand schon vor ihrer Wahl zur Regierungschefin zu befürchten, dass Meloni eine schwierige Auffassung davon hat, wie Italiens Gewicht im europäischen Kontext am besten zur Geltung kommen sollte. Sie war damit angetreten, dass sich Italien nicht mehr unterbuttern lassen würde, wie es das vermeintlich über Jahre getan habe. Sie wollte, dass das Land selbstbewusst seine Interessen vertritt, seinem Status als drittgrößte Volkswirtschaft entsprechend. Diese latent aggressive Betonung der eigenen Stärke und Selbstbehauptung wirkte besonders fragwürdig vor dem Hintergrund, dass Mario Draghi währenddessen Italien wie von selbst in eine Führungsrolle innerhalb Europas brachte. Ohne jegliche great-again-Rhetorik. Stärke und Autorität entstehen durch tatsächliches Selbstbewusstsein, nicht durch einen verkappten Minderwertigkeitskomplex, die ganze Zeit zu kurz gekommen zu sein. Genau diesen trägt Giorgia Meloni aber mit sich herum, und während sie anfänglich versuchte, sich möglichst entspannt und souverän auf dem europäischen und internationalen Parkett zu bewegen, ist der Ton nun gereizter. Auf diese Art bringt sich die italienische Regierung allerdings selbst in die Isolation. Das kann gefährlich werden: Unbeachtet und unverstanden am Rand zu stehen, könnte sie dazu bringen, wieder stärker gegen die EU zu polemisieren, Kompromisse scheitern zu lassen, kurzum den Konflikt erneut zu schüren. Was dann passieren könnte, ist vor allem für Italien selbst ein großes Risiko. Es ist abhängig vom Wohlwollen der EU-Kommission hinsichtlich der finanziellen Unterstützung aus dem EU-Wiederaufbaufonds. Ohne diese und andere Mittel, bekommt Italien sehr schnell ein Problem, ebenso wie jede Missstimmung zwischen dem Land und Europa die Finanzmärkte unruhig werden lässt – und damit die Zinsen steigen.

Wegen Sanremo: Die RAI Ziel von Attacken aus der Regierungsfraktion

Auch innenpolitisch war die letzte Woche geprägt von befremdlichen, besorgniserregenden Äußerungen. Wie aus anderen Ländern mit rechtspopulistischen Regierungen bekannt, finden sich Stellschrauben zur Errichtung einer autokratische(re)n Herrschaft insbesondere in der Justiz und den Medien. Zur Justiz an anderer Stelle mehr, lässt doch die Debatte zum größten Unterhaltungsformat des Landes, das Festival von Sanremo, genug aufhorchen: Zahlreiche Mitglieder der Regierungsmehrheit nahmen dessen Ausstrahlung zum Anlass, den Austausch der Führungsriege der staatlichen Rundfunkanstalt RAI zu fordern. Just in dem Jahr, in dem das Festival die höchsten Einschaltquoten überhaupt verzeichnete, und Moderator Amadeus zum eigentlichen Herrscher des Landes gekürt wurde, folgerte die neue politische Führung aus einigen Provokationen und Diskussionen – zu sexualisiert, zu homophil, zu feministisch, zu hohl, zu extravagant, zu politisch – dass sofortiger Handlungsspielraum bestünde. (Dabei war für die meisten, einschließlich Salvini, wahrscheinlich Roberto Begninis Deklamation des Verfassungsartikels 21 über die Meinungs- und Pressefreiheit am unerträglichsten.)

Schon zuvor war über eine Neubesetzung der Hauptgeschäftsführung debattiert worden. Carlo Fuertes war von Mario Draghi eingesetzt worden und wäre regulär noch bis 2024 im Amt. Ein vorzeitiger Austausch wäre schon kritisch genug, tatsächlich eine Fernsehshow hierfür zum Anlass zu nehmen, nur weil einige Inhalte nicht dem Kulturverständnis der Regierung entsprechen, wiegt deutlich schwerer. Sollte es dazu kommen, während zugleich die Leitung der Hauptnachrichtensendungen ausgetauscht wird, ist nicht nur mit einer inhaltlich-programmatischen Neuausrichtung zu rechnen, sondern auch vorauseilender Gehorsam zu fürchten. Wenn nach jeder unliebsamen Übertragung Köpfe rollen – dann schränkt das die Presse- und Meinungsfreiheit wesentlich stärker ein als ein schlicht konservativer Programmdirektor.

Und dann waren ja noch Regionalwahlen im Lazio und der Lombardei. Niemand ging hin. Die Regierungskoalition hat klar gewonnen. Das Land verändert sich, und die meisten nehmen es hin.

Die neue Normalität des Postfaschistischen

Etwas mehr als 100 Tage ist Melonis Regierung im Amt und an den Zwischenbilanzen fällt auf: Es geht um politische Inhalte.

Giorgia Meloni schüttelt Ursula von der Leyen leicht verkrampft die Hand.
Sieht noch nicht nach echter Freundlichkeit aus: Giorgia Meloni und Ursula Von der Leyen. European Union 2022

Giorgia Melonis Regierung der besonderen Attribute – die erste Frau als Premier, die rechteste Regierung aller Zeiten, die erstaunlich schnell gebildete Regierung, die erste klassisch „gewählte“ Regierung seit langem – hat ihre Phase der Luna di miele, der Flitterwochen hinter sich gelassen. Das gab natürlich Anlass für allerlei Bilanzen, bei denen erstaunlich wenig darüber gesprochen wurde, dass hier eine postfaschistische Partei an die Macht gekommen ist, die sich in einer ideologisch-historischen Linie mit dem Movimento Sociale Italiano sieht, der Nachfolgepartei der Faschist:innen.

Die europäischen Nachbarstaaten, insbesondere Deutschland, hatten Italien vor und nach der Wahl äußerst kritisch beäugt – Melonis politische Herkunft und das Personal ihrer plötzlich so erfolgreichen Partei hatten dort weit mehr Sorge ausgelöst als in Italien selbst. Die italienische Sichtweise scheint sich durchzsetzen: Zwar gibt es einiges zu kritisieren an der neuen Regierung, doch die Fundamentalkritik blieb und bleibt aus. Auf europäischer Ebene hat man sich längst wieder anderen Themen zugewandt. Die linke und linksliberale Presse in Italien stürzten sich zwar auf die teils dilettantisch wirkenden Haushaltsverhandlungen, die (halbe) Abschaffung des Bürgergelds, die sinnfreie Debatte, ab welchem Betrag Kartenzahlung ermöglicht werden muss oder nicht. Sie stoßen sich zurecht an Äußerungen des Justizministers Nordio, der harsche Kritik an der Verwendung richterlicher Abhörmethoden äußerte, ohne auf deren Relevanz bei Anti-Mafia-Ermittlungen einzugehen. Deutlich wurde der Umgang mit den NGO-Schiffen kritisiert, welche die neue Regierung – wenig überraschend – gezielt kriminalisiert. Ein wenig Schadenfreude war dabei, als sich Meloni bei Tankstellenstreiks kürzlich erstmals mit Protest gegen ihre Politik konfrontiert sah und dem Bruch eines Wahlkampfversprechens aus früheren Tagen überführt. Roberto Calderoli wurde für seinen Vorschlag einer differenzierten Autonomie der Regionen von allen möglichen Seiten scharf unter Beschuss genommen.

Doch einen Satz hört man häufig, in Kommentaren zur Regierung Meloni: Man kann ihr wohl kaum zum Vorwurf machen, dass eine rechte Regierung die Politik einer rechten Regierung macht. Man kann also nicht einverstanden sein mit ihren Maßnahmen, sie falsch und schlecht für Italiens Entwicklung halten, dagegen protestieren, und allzu fragwürdige Regelungen versuchen zu verhindern. Dabei handelt es sich aber schlicht um die Essenz der politischen und demokratischen Auseinandersetzung. Hier wird um Politik gestritten – nicht um die Fundamente der rechtsstaatlichen Demokratie und auch nicht um Ideologie.

Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Vielleicht haben jene Skeptiker:innen Recht, die sagen, dass Meloni sich nur handzahm gibt, solange sie weiß, andernfalls die ganze EU gegen sich zu haben. Sobald sich dort die (Mehrheits-) Verhältnisse änderten, wäre sie zu viel radikaleren Schritten bereit. Vernunft also nur aus politischem Überlebenswillen heraus. Aber aus Europa kommt zur Zeit kein rechts-autokratischer oder -populistischer Rückenwind. Tschechien hat gerade erst proeuropäisch (und anti-russisch) gewählt. Der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise stärken den europäischen Zusammenhalt. Gleichzeitig schreckt das politische wie wirtschaftliche Desaster, das zur Zeit in Großbritannien zu beobachten ist, wohl selbst die größten EU-Kritiker:innen ab. Sollte das absehbar so bleiben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich Giorgia Meloni und ihre Regierung dauerhaft an die Strukturen und Logiken der EU anpassen, anstatt das ganze Gefüge mit ihren Freunden im Geiste radikal umzukrempeln.

Meloni ist besessen und beseelt davon, für ihre „große Nation“ Italien das Beste zu tun und das Land zu – vermeintlich alter – Stärke zurückzuführen. Dafür braucht sie stabilen Rückhalt in der Wählerschaft und im außen- wie wirtschaftspolitischen Kontext, das hat sie schnell verstanden und entsprechend schon im Wahlkampf Taktik und Rhetorik geändert. Sie weiß auch, dass sie nicht zu stark werden darf, weil das andernfalls heftige Reaktionen ihrer politischen Partner hervorrufen könnte. Dass sie nicht zu radikal sein darf, weil sie sonst die Straße gegen sich aufwiegelt. Vielleicht ist Melonis moderate Politik also nur Kalkül. Wenn das verzweigte Netz aus innen- wie außenpolitischen Gegengewichten sie jedoch weiter dazu zwingt, macht es am Ende kaum einen Unterschied. Hauptsache, Italiens Demokratie bleibt stabil.