Good cop, bad cop. Italiens Reaktion auf das angedrohte EU-Defizitverfahren

Jean-Claude Juncker, Giuseppe Conte; Foto: EU 2019, Etienne Ansotte

Die unmittelbaren Reaktionen der italienischen Regierungsspitze auf die Zurückweisung ihres Haushalts durch die EU waren: erstaunlich zurückhaltend. Die sonst so mitteilungsfreudigen Politiker von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung zeigten sich maulfaul. Wirtschaftsminister Di Maio twitterte unablässig über das neue Gesetze gegen illegale Müllverbrennungen im Süden des Landes, Innenminister Salvini forderte knapp „Respekt“ vonseiten der EU. Von Premierminister Conte zunächt nichts.

Die Äußerung Salvinis später auf einem Treffen der Confcommercio, des italienischen Handelsverbandes, lässt sich auf gut Italienisch wohl mit „che cazzo me ne frega“ zusammen fassen. Salvini blieb seiner Linie treu und markierte gegenüber der EU auch im Weiteren den harten Hund. Italien wird nichts verändern an seinen Haushaltspläne, wer ist die EU, die es wagt, dagegen Einspruch zu erheben?!

Doch dann die vorsichtigen, besorgten Äußerungen des Finanzministers Tria zur Schuldensituation und zur Lage auf den Finanzmärkten. Der facebook-Beitrag von Premier Conte, in dem er wortreich umschreibt, dass man keine harte Konfrontation mit der EU suche. Geteilt von Di Maio, der seinerseits hinzu fügt, dass doch alle das selbe wollten: Wachstum und geringere Schulden.

Heute schließlich die fröhlichen Bilder von Giuseppe Conte mit Jean-Claude Juncker: „Wir streiten nicht, we are friends“. Hier versucht ein Teil der Regierung das einzuleiten, was unvermeidlich ist: Eine Einigung mit der EU. Sie ist im Übrigen für beide Seiten unvermeidlich, denn ein Staatsbankrott Italiens ist auch für die EU ein zu hohes Risiko.

Derweil gibt Salvini weiter den bissigen Terrier. Parallel laufen die Verhandlungen zur Fortführung der Seerettungsmission „Sophia“; auch hier blieb Italien zunächst bei seinen Maximalforderungen. Das wichtigste für die gelb-grüne Regierung aus Fünf-Sterne und Lega: Keinesfalls den Eindruck erwecken umzufallen. Unbedingt Wahlversprechen einhalten! Keine Kompromisse!
Doch leider funktioniert Demokratie so eben nicht. Schon gar nicht eine multilaterale. Deshalb arbeiten die good cops ja jetzt schon an einer Einigung mit der EU.

Von wegen Wandel! Italiens Regierung agiert wie ihre Vorgänger

Fünf-Sterne droht Abweichlern, Lega plant Berlusconi-Gesetze

Luigi Di Maio (li.) hatte Veränderungen versprochen. Foto: EU 2018, Mauro Bottaro

Die Fünf-Sterne-Bewegung M5S war angetreten, alles anders zu machen als die anderen Parteien. Vor allem in Fragen der Legalität, der Transparenz und der Demokratie. Das dies ein zu vollmundiges Versprechen war, ahnte man bereits. Nun, da sie an der Regierung sind zeigt ich, dass sie vieles genau so machen, wie alle anderen Parteien:

Es gab berechtigten inhaltlichen Widerstand zum Sicherheits-Gesetz, das vor allem Salvini von der Lega am Herzen liegt. Drastische Maßnahmen gegen Migration, sein Kernthema, mit dem er sich als Hardliner profiliert. Dass der Gesetzesvorschlag ankommende Migrant/innen nur noch stärker in die Illegalität drängt, stieß einigen Abgeordneten der Fünf-Sterne bitter auf. Doch ihre Änderungsanträge wurden nicht berücksichtigt. So weit, so gut. Doch die Art, wie die Gesetzesabstimmung im Senat dann verlief, erinnert arg an die schlechte Praxis vergangener Jahrzehnte:

Ein maxi-emendamento, ein das ganze Gesetz umfassender Änderungsantrag wurde eingebracht und angenommen, der alle anderen Änderungsanträge obsolet macht. Die Vertrauensfrage wurde mit der Abstimmung verbunden – Gegenstimmen aus den eigenen Reihen hätten also die Regierung gestürzt. Deshalb verließen die „Dissidenten“ der Fünf-Sterne den Saal und stimmten gar nicht ab, um die Regierung nicht zu gefährden. Und nun? Droht ihnen der Rauswurf oder andere Sanktionen. Ein Auschluss könnte die dünne Mehrheit der grün-gelben Regierung gefährden. Doch „eine Bestrafung muss sein“, kolportiert La Repubblica aus den Führungsreihen des M5S, andernfalls mache ja jeder zukünftig, was er wolle.

Der Fraktionszwang in Italien ist schon immer schwächer ausgeprägt als etwa in Deutschland. Doch eine Bestrafung bei Nichtteilnahme an der Abstimmung – das verstößt ganz offensichtlich gegen das verfassungsrechtlich geschützte freie Mandat. Der Zwang zur Zustimmung, indem die Vertrauensfrage gestellt wird, ist zugleich eine Praxis, die die Fünf-Sterne an der früheren Regierung Renzi noch vehement kritisierte.

Auch an anderen Baustellen scheint die Fünf-Sterne-Bewegung von ihren Prinzipien Abstand zu nehmen: Der Straf- und Steuererlass für Steuersünder, den die Lega in das Haushaltsgesetz aufnehmen wollte, wird zwar nun in einem separaten Gesetz verhandelt, ist aber alles andere als vom Tisch. Nun streiten sich die Koalitionspartner über eine Änderung der Verjährungsfrist. Silvio Berlusconi – aber bei weitem nicht nur er – war bekannt dafür, die schwergängigen Justizverfahren in Italien gezielt zu verlangsamen, damit sie wegen Verjährung eingestellt werden mussten.

Fünf-Sterne war angetreten, diese Praxis zu unterbinden. Sobald ein Verfahren aufgenommen wurde, sollte die Verjährungsfrist unterbrochen werden. Dagegen regt sich nun Widerstand in der Lega, die offensichtlich ihren alten politischen Weggefährten noch immer verbunden ist. Entsprechend mahnt Alessandro di Battista, führender Kopf des M5S, die Lega müsse überlegen, ob sie an das ganze Land denke, oder nur an Arcore.
In Arcore hat Berlusconi seine Villa. Die Kontinuitätslinien in der italienischen Politik, sie halten. Auch in der „Regierung des Wandels“.