Ein langer italienischer Sommer

Sportliche Erfolge, wirtschaftlicher Aufschwung, zuletzt ein Nobelpreis: Es läuft in Italien. Und die Politik?

Mario Draghi zeichnet sich verantwortlich für die erfolgreiche Regierungsarbeit. Foto: European Union 2021

Mario Draghi eröffnete die Pressekonferenz am 5. Oktober mit der Nachricht, dass der italienische Physiker Giorgio Parisi gemeinsam mit zwei Kollegen den Nobelpreis für Physik erhalten wird. Erneut eine Auszeichnung mit weltweiter Aufmerksamkeit für das vor kurzem noch so gebeutelte Land. Davon hatte es in diesem Jahr, in diesem wundersamen italienischen Sommer schon einige gegeben:

Zuerst gewanndie junge Rockband Maneskin den Eurovision Song Contest und eroberte danach – musikalisch – die Welt mit ihren englischsprachigen Songs. Wann hatte es das zuletzt gegeben? Wenig später erkämpfte sich die italienische Fußballnationalmannschaft den Titel in der verschobenen EURO 2020 – und das auch noch mit ansehnlichem Fußball! Hatte es das je schon gegeben? Die Gratulationen kamen von überall und von Herzen, die Seele der Italiener:innen streichelte der Erfolg in jedem Fall. Fußball ist der Kitt, der die Nation zusammenhält.

Aber nicht nur König Fußball sorgte für neu erwachten Nationalstolz: Bei Olympia in Tokio holte sich Marcell Jacobs Gold über die Paradedisziplin 100m. Ein Italiener der neue Usain Bolt? Kaum zu glauben! Nun folgt die Erfolgsmeldung aus der Wissenschaft, die nur für Auftrieb sorgen kann angesichts anhaltend knapper Ressourcen an den Universitäten und einem veralteten Lehrsystem. Dazwischen, vielleicht noch ungewöhnlicher: Positive Nachrichten aus Wirtschaft und Finanzen. Italiens Wirtschaft wächst, stärker als erwartet. Die F.A.S. empfiehlt Investitionen in italienische Firmen. Wann gab es das zuletzt?

„Super-Mario“ Draghi scheint seinem Spitznamen gerecht zu werden und er erfüllt das wichtigste Kriterium, weswegen er in das Amt des Premierministers geholt wurde: Das Vertrauen der Wirtschafts- und Finanzakteure wiederzugewinnen (neben dem der politischen Partner:innen in der EU, versteht sich). Tatsächlich wird er ja auch den Anforderungen gerecht, die an ihn gestellt wurden zum Amtsantritt: Etwa den Impffortschritt zu beschleunigen – 77 Prozent der Italiener:innen sind bereits geimpft, eine Quote, von der manche Regionen in Deutschland meilenweit entfernt sind. Das Management der Pandemie zu verbessern, was seine Regierung zwar gegen Widerstände, aber letztlich unbeirrt und mit klaren – scharfen – Regeln tut.

Entscheidender jedoch für die Zukunft Italiens: die großen und schwierigen Reformen rasch anzugehen, welche die Grundlage für alle weiteren Maßnahmen des Next Generation EU-Plans bilden, die Justizreform und die Reformierung des Steuersystems. Letztere ist diese Woche angeschoben worden, mit einer so genannten legge delega, mit welchem die Regierung beauftragt wird, binnen 18 Monaten in kleineren Gesetzespaketen (decreti legislativi) die einzelnen Reformschritte zu konkretisieren und zu verabschieden. Dieses Delegationsgesetz liefert zunächst nur den Rahmen, die Grundprinzipien. Es muss von beiden Parlamentskammern verabschiedet werden, das heißt, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Aber wie die vergangenen Monate gezeigt haben, lässt sich die Regierung Draghi kaum beirren. Einige Korrekturen hier und da, ansonsten wird wie geplant durchgezogen.

Auch das ist angenehm überraschend, denn anders als einige seiner Vorgänger, die ihre Tatkraft demonstrieren wollten, scheint Draghi niemals die Sachorientierung abhanden zu kommen. Es gibt keine Reform um der Reform Willen, sondern Reformen, um notwendige Dinge zu korrigieren und zu verbessern. Wenig überraschend scheint also, dass eine deutliche Mehrheit der Italiener:innen (57 Prozent) seine Arbeit positiv bewertet (Umfrage Ipsos vom 29.09.21).

Dagegen sträubt sich insbesondere die populistische Rechte, durch die Lega in der Regierung vertreten. Ein Eklat folgt auf den nächsten, weil Parteichef Salvini öffentlich gegen die Pläne der Regierung wettert (der er eben selbst angehört) und seine Leute nicht zu Ministerratssitzungen erscheinen oder dort gegen gemeinsam getroffene Entscheidungen abstimmen lässt. Geholfen hat Matteo Salvini diese Taktik bislang nicht. Innerhalb der Partei verliert er an Rückhalt, die gemäßigten Wirtschaftsliberalen um Giancarlo Giorgetti gewinnen an Gewicht. Gleichzeitig verliert die Lega Unterstützung in der Wählerschaft, speziell im Kerngebiet der Partei im Norden, wobei noch nicht ausgemacht ist, ob trotz oder wegen des moderateren Regierungskurses – oder weil vor allem die Widersprüchlichkeit im Verhalten der Parteiführung evident ist. In jedem Fall verlor das Mitte-Rechts-Lager bei den Kommunalwahlen am vergangenen Wochenende an Rückhalt. Mailand, Bologna und Neapel gingen klar an Mitte-Links, in Turin, Rom und Triest kommt es zur Stichwahl.

Alles gut also in Italien? Ja – noch. Von Beginn an wurde Draghis Amtszeit vom Ende der Legislatur her gedacht. Frühjahr 2023, dann stehen regulär die Parlamentswahlen an. Das ist auch richtig so, handelt es sich doch um ein governo tecnico, eingesetzt vom Staatspräsidenten, unterstützt von fast allen Parteien in – wenn auch brüchiger – „nationaler Einheit“. Doch einen solchen langen Atem wollten und wollen einige politische Kräfte nicht haben. Im Februar 2022 steht die Wahl des Staatspräsidenten an, und kaum war Mario Draghi Premier, wurde er schon für dieses höchste, aber konkret politisch eher wirkungslose Amt ins Spiel gebracht.

Giorgia Meloni, Oppositionsführerin von Fratelli d’Italia, brachte diese Option nun erneut ins Spiel. Zwar wurde sie gleich von einem ihrer Partner, Forza Italia, ausgebremst; das Mitte-Rechts-Lager steht gerade, auch aufgrund interner Querelen, nicht auf so soliden Füßen, als dass ihm eine Wahl im Frühjahr 2022 gelegen käme. Dennoch hätten FdI, Lega und FI die besten Aussichten, stärkste Kraft zu werden. Bis zu dieser Woche lagen Fratelli d’Italia in Umfragen stets vorne, gefolgt von einer – geschwächten – Lega. Die hohen Zustimmungswerte für Mario Draghi drücken sich also paradoxerweise nicht in Zustimmung zu moderaten Parteien aus – doch wo wären diese auch zu finden, abseits des Partito democratico, der einem Großteil der Italiener:innen immer zu links sein wird. Der Anteil der Nichtwähler:innen bei den Kommunalwahlen war enorm, meist ging nicht einmal die Hälfte der Berechtigten zur Wahl. Den Bürger:innen scheinen sich keine adäquaten Optionen zu bieten.

Es läuft also in Italien. Nur die Parteipolitik, sie hängt wieder einmal hinterher.