Die neue Normalität des Postfaschistischen

Etwas mehr als 100 Tage ist Melonis Regierung im Amt und an den Zwischenbilanzen fällt auf: Es geht um politische Inhalte.

Giorgia Meloni schüttelt Ursula von der Leyen leicht verkrampft die Hand.
Sieht noch nicht nach echter Freundlichkeit aus: Giorgia Meloni und Ursula Von der Leyen. European Union 2022

Giorgia Melonis Regierung der besonderen Attribute – die erste Frau als Premier, die rechteste Regierung aller Zeiten, die erstaunlich schnell gebildete Regierung, die erste klassisch „gewählte“ Regierung seit langem – hat ihre Phase der Luna di miele, der Flitterwochen hinter sich gelassen. Das gab natürlich Anlass für allerlei Bilanzen, bei denen erstaunlich wenig darüber gesprochen wurde, dass hier eine postfaschistische Partei an die Macht gekommen ist, die sich in einer ideologisch-historischen Linie mit dem Movimento Sociale Italiano sieht, der Nachfolgepartei der Faschist:innen.

Die europäischen Nachbarstaaten, insbesondere Deutschland, hatten Italien vor und nach der Wahl äußerst kritisch beäugt – Melonis politische Herkunft und das Personal ihrer plötzlich so erfolgreichen Partei hatten dort weit mehr Sorge ausgelöst als in Italien selbst. Die italienische Sichtweise scheint sich durchzsetzen: Zwar gibt es einiges zu kritisieren an der neuen Regierung, doch die Fundamentalkritik blieb und bleibt aus. Auf europäischer Ebene hat man sich längst wieder anderen Themen zugewandt. Die linke und linksliberale Presse in Italien stürzten sich zwar auf die teils dilettantisch wirkenden Haushaltsverhandlungen, die (halbe) Abschaffung des Bürgergelds, die sinnfreie Debatte, ab welchem Betrag Kartenzahlung ermöglicht werden muss oder nicht. Sie stoßen sich zurecht an Äußerungen des Justizministers Nordio, der harsche Kritik an der Verwendung richterlicher Abhörmethoden äußerte, ohne auf deren Relevanz bei Anti-Mafia-Ermittlungen einzugehen. Deutlich wurde der Umgang mit den NGO-Schiffen kritisiert, welche die neue Regierung – wenig überraschend – gezielt kriminalisiert. Ein wenig Schadenfreude war dabei, als sich Meloni bei Tankstellenstreiks kürzlich erstmals mit Protest gegen ihre Politik konfrontiert sah und dem Bruch eines Wahlkampfversprechens aus früheren Tagen überführt. Roberto Calderoli wurde für seinen Vorschlag einer differenzierten Autonomie der Regionen von allen möglichen Seiten scharf unter Beschuss genommen.

Doch einen Satz hört man häufig, in Kommentaren zur Regierung Meloni: Man kann ihr wohl kaum zum Vorwurf machen, dass eine rechte Regierung die Politik einer rechten Regierung macht. Man kann also nicht einverstanden sein mit ihren Maßnahmen, sie falsch und schlecht für Italiens Entwicklung halten, dagegen protestieren, und allzu fragwürdige Regelungen versuchen zu verhindern. Dabei handelt es sich aber schlicht um die Essenz der politischen und demokratischen Auseinandersetzung. Hier wird um Politik gestritten – nicht um die Fundamente der rechtsstaatlichen Demokratie und auch nicht um Ideologie.

Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Vielleicht haben jene Skeptiker:innen Recht, die sagen, dass Meloni sich nur handzahm gibt, solange sie weiß, andernfalls die ganze EU gegen sich zu haben. Sobald sich dort die (Mehrheits-) Verhältnisse änderten, wäre sie zu viel radikaleren Schritten bereit. Vernunft also nur aus politischem Überlebenswillen heraus. Aber aus Europa kommt zur Zeit kein rechts-autokratischer oder -populistischer Rückenwind. Tschechien hat gerade erst proeuropäisch (und anti-russisch) gewählt. Der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise stärken den europäischen Zusammenhalt. Gleichzeitig schreckt das politische wie wirtschaftliche Desaster, das zur Zeit in Großbritannien zu beobachten ist, wohl selbst die größten EU-Kritiker:innen ab. Sollte das absehbar so bleiben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich Giorgia Meloni und ihre Regierung dauerhaft an die Strukturen und Logiken der EU anpassen, anstatt das ganze Gefüge mit ihren Freunden im Geiste radikal umzukrempeln.

Meloni ist besessen und beseelt davon, für ihre „große Nation“ Italien das Beste zu tun und das Land zu – vermeintlich alter – Stärke zurückzuführen. Dafür braucht sie stabilen Rückhalt in der Wählerschaft und im außen- wie wirtschaftspolitischen Kontext, das hat sie schnell verstanden und entsprechend schon im Wahlkampf Taktik und Rhetorik geändert. Sie weiß auch, dass sie nicht zu stark werden darf, weil das andernfalls heftige Reaktionen ihrer politischen Partner hervorrufen könnte. Dass sie nicht zu radikal sein darf, weil sie sonst die Straße gegen sich aufwiegelt. Vielleicht ist Melonis moderate Politik also nur Kalkül. Wenn das verzweigte Netz aus innen- wie außenpolitischen Gegengewichten sie jedoch weiter dazu zwingt, macht es am Ende kaum einen Unterschied. Hauptsache, Italiens Demokratie bleibt stabil.