Meloni international

Giorgia Meloni ist zu einer wichtigen Figur auf europäischer Ebene geworden. Ihr Vorteil: Sie kann mit allen reden. Richtig ist allerdings auch: Die anderen müssen mit ihr reden.

Schwierige Kompromissfindung beim Sondergipfel der EU im Febrauar zu den Urkraine-Hilfen, European Union 2024

Es war wohl Giorgia Melonis erster großer Erfolg auf internationaler Ebene: Im Februar diesen Jahres konnte erst nach langen Verhandlungen ein Kompromiss mit Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban zu den Hilfen für die Ukraine gefunden werden. Meloni spielte in diesen Verhandlungen augenscheinlich eine wichtige Rolle – wie sie gegenüber den Medien zuhause denn auch betonte. Hatte die langjährige politische Freundschaft mit Orban anfangs noch als Hindernis gegolten, um in Europa anzukommen und ernst genommen zu werden, war es jetzt Melonis Vorteil: Sie konnte als glaubhaftes Bindeglied zwischen dem Paria und dem Rest der EU fungieren.

Mit den anstehenden Europawahlen im Juni rückt Giorgia Meloni weiter in den Fokus: Matthias Rüb und der FAZ-Podcast sehen sie daher schon als „Neue Anführerin Europas“, als neue Angela Merkel. Und klar: Absehbar werden die rechten Parteien gut abschneiden, ihre Partei Fratelli d’Italia ohnehin. Meloni ist Vorsitzende der Europäischen Konservativen und Reformisten, und in dieser Allianz unangefochten die Führungsfigur. Damit kommt keine Verhandlung über eine neue EU-Kommissionspräsidentin an ihr vorbei. Zumal sie – im Gegensatz zu „Identität und Demokratie“, denen die AfD und Salvinis Lega angehören – auch tatsächlich verhandlungs- und kompromissbereit sein wird.

Ukraine-Hilfe als Eintrittskarte in den Kreis der „Großen“

Und so wird Meloni schon länger von Manfred Weber umschwärmt, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei. Über eine Fusion ihrer beider europäischen Fraktionen wird gesprochen, in jedem Fall aber über eine Allianz zur Wahl der neuen Kommissionspräsidentin. Manfred Weber eignet sich seinerseits dafür in besonderem Maße – er scheute sich nie, etwa Silvio Berlusconi zu umwerben und zu unterstützen, selbst wenn dieser wieder einmal auf fatalste Weise seine Freudnschaft zu Wladimir Putin unterstrichen hatte.

Das führt zum wichtigsten Pfand Melonis in der EU: Ihre unverbrüchliche Unterstützung für die Ukraine. Die war ihr Eintritt in den internationalen Kreis, elementarer Bestandteil ihrer Versicherung, stets zum transatlantischen Bündnis zu stehen (selbstverständlich auch, wenn der US-Präsident Trump heißt; was sie dann mit der Ukraine-Unterstützung macht, wird sich zeigen). Auf EU-Ebene ist es ein Deal, der beiden Seiten vorerst hilft: Meloni wird gebraucht, damit Italien nicht als Unterstützerland wegfällt. Sie gewährleistet, dass die durchaus russophilen Stimmungen in ihrem Land nicht die Überhand gewinnen. Dafür wird sie von der europäischen Elite, von der EU-Kommission, von Macron und Scholz, ernst genommen und berücksichtigt. Im Grunde ist der Ukraine-Krieg für Meloni also ein Vorteil, denn anfangs sah es tatsächlich so aus, als würde Melonis politische Herkunft, ihre spürbare Unsicherheit unter den „Großen“ und ihr Minderwertigkeitskomplex gegenüber Frankreich und Deutschland im Wege stehen. Kaum vorstellbar heute, dass sie sich empfindlich getroffen öffentlich darüber mokieren würde, wenn Scholz und Macron ein Treffen mit Zelensky vereinbaren würden, ohne sie zu informieren, wie im Februar vergangenen Jahres. Kaum vorstellbar aber auch, dass sie heute nicht informiert würde.

Aktuell ist Meloni zudem Vorsitzende der G7, der Gipfel in Apulien findet im Juni statt. Das verschafft ihr zusätzlich Gelegenheit, bei symbolträchtigen Terminen ihre außenpolitische Rolle zu stärken, etwa beim Besuch in Kiev vor einem Monat.

Giorgia Meloni mit Volodymyr Zelensky und Ursula von der Leyen u.a. auf dem Antov Flughafen in Kiev am 24. Februar 2024, European Union 2024

Erste Erfolge für die Richtung ihrer Politik konnte Meloni damit schon erzielen. Wurde das Herzensthema von Italiens Rechten, die Migration, am Anfang ihrer Amtszeit zunächst nachrangig behandelt, klingt die neue Ausrichtung der EU stark nach ihren Forderungen: Außengrenzen schützen, Aufnahmelager und Asylverfahren außerhalb Europas. Meloni ist nun mit vorn dabei beim Verhandeln von Abkommen etwa mit Tunesien. Und das nationale Abkommen mit Albanien gilt plötzlich als Vorzeigemodell (obwohl die Implementierung und Wirkung mehr als skeptisch zu betrachten sind).

Melonis politischen Ziele bleiben ultrarechts

Meloni gibt sich also als verlässliche, vernünftige Partnerin. Sie wird respektiert für ihre Art – wahrscheinlich sind viele in Europa froh darum, dass sie es mit jemandem zu tun haben, der Peinlichkeiten vermeidet (Berlusconi), sich stets akribisch vorbereitet, um im Stoff zu stehen (Conte), keine schädlichen populistischen Kommentare raushaut (Salvini, Berlusconi), nicht nur heiße Luft produziert (Renzi) und passabel Fremdsprachen beherrscht (alle). Sie ist nicht Mario Draghi, aber immerhin. Schließlich ist Olaf Scholz auch nicht Angela Merkel. Weil man sie respektieren kann, sollte man sie aber nicht unterschätzen. Ist sie wirklich so „normal konseverativ“, wie sie etwas FAZ-Korrespondent Rüb beschreibt? Nicht unbedingt. Sie hat sich die harschen Töne abgewöhnt, aber nicht ihre erzkonservativen Grundüberzeugungen. Ihr engstes Umfeld besteht nach wie vor aus Personen, die wie sie im politischen Aktivismus des Movimento Sociale Italiano, der neofaschistischen Partei, groß geworden sind. Teilweise ist das deckungsgleich mit ihrer Familie. Meloni treibt eine politische Überzeugung an, die zudem geprägt war und ist, dass ihre Positionen Minderheitsmeinungen waren, die nicht akzeptiert wurden.

Sie hat sich selbst als „Underdog“ bezeichnet in ihrer Antrittsrede. Sie führt deshalb einen Kampf in der Politik, einen Kampf gegen das Establishment. Sie will ankommen an der Macht, sie will verändern, sind will der rechten Geisteshaltung endlich Genugtuung verschaffen. Und anders als das politische Trampeltier Matteo Salvini geht ihr politischer Instinkt darüber hinaus, das Bauchgefühl des gewöhnlichen italienischen Barbesuchers zu treffen. Sie weiß zu führen, eine heterogene Koalition zu halten, Allianzen zu schmieden. Denn keineswegs trennt sie sich von ihren politischen Freunden in Ungarn oder Polen, die für die stärksten rechtsstaatlichen Einschränkungen in Europa seit der Wende verantwortlich sind. Aber sie weiß, wie sie sich geben muss. Eben nicht radikal, sondern gesprächsbereit.

Bei zu viel Sexismus und Frauenverachtung zieht sie inzwischen zwar die Reißleine – nicht zuletzt mit der Trennung von ihrem Partner Andrea Giambruno, der sich mehrfach in mysogener Weise geäußert (und gehandelt) hatte. Aber ansonsten können Partei- und Koalitionsfreunde von Rassen und Ethnien schwafeln, rechter Gedenkkultur und Kulturchauvinismus frönen, die eigenen faschistischen Wurzeln pflegen und dezidiert homofobe, frauenfeindliche Generäle für ihre Wahllisten gewinnen wollen. Meloni sagt meist nichts dazu, hält sich im Hintergrund und bedeckt. Zwar kann man sich geradezu bildlich vorstellen, wie sie manchmal die Hände vors Gesicht schlagen muss, wenn mal wieder jemand eine Äußerung getätigt hat, die für Empörung sorgen muss. Doch ob sie inhaltlich wirklich nicht einverstanden ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Die Rechte will Diskurshoheit – und sägt an den Grundvoraussetzungen der Demokratie

Und zwar auf dem selben Blatt, auf dem die Einflussnahme auf den Staatsrundfunk RAI steht. Melonis Regierung hat viele entscheidende Positionen in der Programmleitung und den großen Nachrichtensendungen neu besetzt. Einige führende, erfolgreiche Köpfe haben die RAI verlassen, nur rechtlich gesehen aus freien Stücken, weil ihnen die Spielräume verengt und Freiheiten genommen werden sollten. Pressekonferenzen und Interviews, die kritische Fragen ermöglichen, lässt Meloni kaum zu. Stattdessen veröffentlicht sie Statements und offene Briefe, in denen sie unwidersprochen ihre Sicht präsentieren kann.

Dies ist ein wichtiger Baustein in Melonis politischen Vorhaben: Die Sicht der Rechten auf die Welt braucht endlich einen gesicherten Platz im öffentlichen Diskurs. Weg mit dem linken Mainstream, der angeblich überall unwidersprochen den Ton angibt. Weiße, katholische, heterosexuelle italianità – keine Scham gegenüber der Vergangenheit, Sichtbarkeit kommunistischer Verbrechen und linker Fehler, Nationalstolz, Tradition und Kultur in der engsten der möglichen Definitionen. Es ist Identitätspolitik, die Giorga Meloni und ihre Partei antreibt. Demokratische Pluralität steht dem entgegen. Das sollte man nicht aus dem Auge verlieren, wenn man Melonis aktuelle internationale Performance bewundert.