Die Sardinen und die Regionalwahl in der Emilia-Romagna

Bislang sind die „Sardinen“ präsent auf den Plätzen Italiens. Aber um wirklich wirkungsvoll zu sein, muss ihr Anliegen in die Parlamente.

Flash Mob der Sardinen in Bologna am 14. November 2019. CC BY 2.0

Italien hat eine neue Bewegung. Parteipolitisch ungebunden, vereint in der drängenden Sorge, eine Regierung der Lega Matteo Salvinis zu verhindern. Am Sonntag wird in der Emilia-Romagna gewählt, einer Region, die seit jeher im traditionell „roten Gürtel“ Italiens liegt. Noch. Denn der Erfolg der Lega weitet sich aus und hat zuletzt Umbrien ergriffen. Fällt am Sonntag die nächste Bastion der Linken? Kann sich dann noch die nationale Regierung in Rom halten? Und was passiert mit Italien, sollte Salvini dann Regierungschef wählen?

Die „Sardinen“ befürchten: Nichts Gutes. Ein Abdriften in autokratische, autoritäre Politik, in einen neuen Nationalismus, einen neuen Faschismus. Während Europa sich darum sorgt, dass dann ein weiteres Land der EU den Europakritikern in die Hände fällt, geht es den Sardinen um viel mehr. Salvini bedroht die liberale, pluralistische Gesellschaft, die Heterogenität der Ethnien, der politischen Meinungen, der kulturellen Identitäten. Deshalb gehen sie auf die Straße, deshalb wollen sie mehr sein, sie wollen sich und den anderen vergewissern, dass Italien weiterhin pluralistisch bleibt und niemals wieder einem Mann, einer Partei „alle Gewalt“, pieni poteri, in die Hände gibt.

Pieni poteri, die hatte Salvini im vergangenen Herbst für sich gefordert und für einen kurzen Moment alle andere politischen Akteure vereint gegen sich aufgebracht, was in der Regierungsbildung aus PD und M5S mündete sowie der viel gerühmten Rede Giuseppe Contes zum Regierungsantritt, in der er in seltener Klarheit die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen Italiens verteidigte.

Die Institutionen. Sie sind der Knackpunkt, auch für die Sardinen. Denn einerseits wollen und sollen sie vor jemandem geschützt werden wie Salvini, der proklamiert, sich ihrer nach Gutdünken bedienen zu können. Und gleichzeitig herrscht in Italien, auch bei denen, die sich nun wie Sardinen in der Dose auf den Piazzen der Republik drängen, ein großes Misstrauen gegenüber denen, die diese Institutionen „besetzen“. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat massiv an Wählerzuspruch verloren, seit sie – ganz im Sinne des institutionellen Systems in Italien – im Herbst 2019 den Koalitionspartner wechselte und mit einer neuen parlamentarischen Mehrheit eine neue Regierung bildete. Nichts ist verwerflicherim Lager der Sterne als sich nicht von seinen gut dotierten Sesseln, den poltrone, trennen zu können.

Und nicht nur die Fünf-Sterne schwächeln. Auch der Partito Democratico tut sich schwer mit seiner – zu früh prognostizierten – Wiederauferstehung. Die Wählerinnen, die verloren gingen, kommen (noch) nicht zurück. Zu groß ist der Vertrauensverlust, weil über Jahre und Jahrzehnte nicht die Herzensangelegenheiten der Wählerschaft angegangen wurden: Fehlte es zunächst an klaren Maßnahmen gegen die Vereinnahmung der Republik durch den Unternehmer Berlusconi, waren es im vergangenen Jahrzehnt die schmerzhaften Reformen an Rente und Arbeitsmarkt, welche die linke Wählerschaft zunehmend entfremdeten. Hinzu kam auch hier das Um-sich-selbst-kreisen der Parteiführung, denen es mehr um Macht und Einfluss in der Partei ging als um die politische Programme, die das Land voranbringen.

Nun wird Protest auf der Straße aber nicht dazu führen, eine Regierung der Lega zu verhindern, wenn er sich nicht zugleich in Wählerstimmen für andere Parteien ausdrückt. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass in der Emilia Romagna wie in den anderen Regionen ein präsidiales Wahlsystem herrscht: The winner takes it all. Eine Koalitionsregierung der schwächeren Parteien gegen einen Wahlsieger Lega – und sei der Vorsprung noch so knapp – ist nicht möglich. Die stärkste Kraft stellt den Regionspräsidenten und erhält eine Mehrheitsprämie, die die absolute Mehrheit sichert. Der „Fall“ der roten Emilia Romagna aber wäre von einer Symbolkraft, die auch in Rom nicht ignoriert werden könnte.

Und die Sorgen der Sardinen sind keinesfalls unberechtigt: Von einer Lega-Regierung droht vielleicht kein wirtschaftspolitisches Irrlichtern wie von den Fünf-Sternen, wenn sie erst einmal in Regierungsverantwortung sind, sehr wohl aber ein weiteres Abschleifen der demokratisch-rechtsstaatlichen Standards, die in Italien seit Jahren schwinden. Fehlende Akzeptanz des politischen Gegners, ein Alleinvertretungsanspruch der „wahren“ Italiener, die nicht nur Migrantinnen ins Abseits stellt, sondern grundsätzlich eine kulturelle und politische Hegemonie postuliert. Was Salvini bremsen könnte, wäre womöglich just das institutionelle System, das auf nationaler Ebene das Regieren nicht gerade erleichtert.

Die Krux aber bleibt: So lebendig sich die italienische Zivilgesellschaft von links bis moderat gerade zeigt, indem sie binnen kürzester Zeit eine neue Bewegung geschaffen hat, die wirklich zahlreiche Menschen – trotz schlechten Wetters – auf die Straße bringt, so sehr wird sie wirkungslos bleiben, wenn sie es nicht schafft, sich an die demokratischen Institutionen anzudocken. Dass die Risiken für diesen Weg hoch sind, zeigt nicht zuletzt das Schicksal der Fünf-Sterne, die ebenfalls auf den Piazzen der italienischen Republik entstanden sind. Und dennoch muss dieser Weg gegangen werden.

Was jetzt Salvini noch stoppen könnte

M5S, PD und FI diskutieren über Verfassungsänderung und Änderung des Wahlgesetzes

Politisch heiße Zeiten in Italiens Hauptstadt Rom. Alle Zeichen deuten auf Neuwahlen – oder doch nicht?! Bild: Pixabay

Während Matteo Salvini überall tönt, dass es so schnell wie möglich an die Wahlurnen gehen soll, formiert sich langsam und im Hintergrund eine neue, eigentümliche Allianz: Fünf-Sterne-Bewegung, der linke und der Renzi-Flügel der PD, sogar Berlusconis Forza Italia finden plötzlich ein gemeinsames Ziel, denn sie alle wollen Neuwahlen erst einmal verhindern und so lange wie möglich rauszögern.

Der Hauptgrund: Bei Neuwahlen hätte zur Zeit nur die Lega etwas zu gewinnen. Und bei manchem mag neben Eigeninteressen auch die Sorge mitschwingen, was aus Italien würde, sollte Salvini tatsächlich fünf Jahre lang allein regieren.

Allerdings ist das Ziel, Neuwahlen hinauszuzögern, so ziemlich das einzige, worauf sich die verschiedenen Parteien einigen können. Deshalb ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich nach dem Sturz der jetzigen Regierung eine neue Mehrheit finden wird, um den Rest der noch langen Legislatur gemeinsam zu Ende zu bringen. Deshalb denken die politischen Kontrahenten über ein governo costituzionale, eine „Verfassungsregierung“ nach.

Ihre Aufgabe wäre es, den laufenden Gesetzgebungsprozess zur Änderung der Verfassung zu Ende zu bringen, mit dem die Zahl der Parlamentarier*innen reduziert wird. Eine Herzensangelegenheit der Fünf-Sterne – ebenso wie übrigens die Abstimmung zur Hochgeschwindigkeitsstrecke Torino-Lione (TAV), die Auslöser für die jetzige Regierungskrise war. Die Fünf-Sterne scheinen zu verstehen, dass sie an ihren Inhalten festhalten müssen, wollen sie politisch irgendwie überleben.

Die Verfassungsänderung zu Ende bringen und, als Entgegenkommen für den Partito Democratico, gleich noch eine Änderung des Wahlgesetzes hinterher schieben – das wären die Aufgaben der neu zu bildenden Regierung. Wenn dies erledigt ist, würde man zu Neuwahlen schreiten. Mit einem Verhältniswahlrecht, geht es nach den Vorstellungen von PD und M5S. Die Hoffnung ist, dass mit der Zeit und dem neuen Wahlrecht die derzeit überbordenden Chancen von Salvini eingedämmt werden können.

So vage diese Hoffnung ist, so kritisch muss dieses Vorhaben betrachtet werden: Hier soll in kürzester Zeit erneut das Wahlgesetz geändert (nach 2015 und 2017) und eine Verfassungsänderung verabschiedet werden, der sich der PD bislang immer entgegengestellt hat. Verfassungsänderung als taktisches Manöver, um Wahlchancen zu verbessern? Erneut werden die Grundlagen des demokratischen Staates in Italien zum Spielball politischer Interessen.

Maike Heber

Von No TAV zu No M5S

Die Fünf Sterne Bewegung wandert von Misserfolg zu Misserfolg und verliert weiterhin an Wählerzuspruch. Das hat mehrere Gründe.

Die italienischen Zeitungen werden derzeit nicht müde zu betonen, dass die Brüche in der grün-gelben Koalition in Rom inzwischen unübersehbar und unüberbrückbar sind. Wie lange hält die Zweckehe aus Lega und Fünf Sterne Bewegung noch?

Die Europawahl Ende Mai ist der Stichtag, an dem alle erwarten, dass sie auseinander gehen. Denn dann wird offensichtlich werden, was schon heute deutlich zu spüren ist und von Kommunalwahlergebnissen bestätigt wird: Den Fünf Sternen bricht der Boden unter den Füßen weg. Die großen Wahlsieger des Jahres 2018, als sie stärkste Kraft wurden, sind nurmehr ein nervöser Haufen, der händeringend versucht, sich zu profilieren und die eigene Agenda durchzusetzen.

Giuseppe Conte und die Fünf Sterne müssen sich ganz schön strecken, um an der Regierung zu bleiben. Foto: EU 2019, Etienne Ansotte.

Allein, die Bedingungen sind schlecht: Während die Lega, angeführt von Salvini, es zumindest schafft, die Umsetzung der eigenen Vorhaben erfolgreich zu propagieren, fehlt es bei den Cinque Stelle praktisch an allem: Expertise und Erfahrung – von Geld ganz zu schweigen – um Herzensprojekte wie das Grundeinkommen auch in der Praxis erfolgreich umzusetzen; Durchsetzungsvermögen, um dem prepotent auftretenden Innenminister Salvini effektiv die Stirn zu bieten, wo sich die Regierung uneins ist; die effektive Macht, um Projekte wie die Hochgeschwindigkeitsverbindung Turin-Lyon tatsächlich zu stoppen.

Dieses Projekt, die so genannte TAV, zeigt das Dilemma der Fünf Sterne Bewegung in besonderem Maße: Seit Jahren wird gegen dieses Infrastrukturprojekt von zweifelhaftem Mehrwert in Sachen internationale Anbindung und Kosten-Nutzen-Rechnung protestiert, M5S hatte sich zum politischen Arm der Protestierer gemacht. Ähnlich wie die Grünen in Baden-Württemberg mit Stuttgart 21 sind sie es nun, die das Projekt dennoch umsetzen müssen. Denn die Ausschreibungen für die Arbeiten sind veröffentlicht, daran konnte die Regierung nichts tun. Doch statt diese missliche Situation offensiv anzugehen, wenn der Bau schon unvermeidlich ist, ließen sich die Fünf Sterne auf einen aussichtslosen Verhinderungskampf ein.

Screenshot der Webseite der No Tav Bewegung mit einem Bild von Protesten in Rom gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke durch die Alpen.
Proteste gegen den Hochgeschwindigkeitszug. Die Webseite der No TAV-Bewegung am 26.03.2019 (screenshot).

Sie versprachen ihren Anhängern, die Ausschreibung doch noch verhindern zu können. Was sie nicht konnten – und das hätten sie wissen können. Zudem verkündete der Koalitions“partner“ Lega parallel, dass das Projekt auf jeden Fall kommt. Verlässlichkeit in europäischen Großprojekten, Modernisierung, Investitionen in Infrastruktur und Zukunft – die Lega profilierte sich als Gestalter, die Fünf Sterne als (hilflose) Verhinderer.

Dabei darf man durchaus berechtigte Zweifel daran haben, ob ein Tunnel dieser Dimension durch das Susatal in den Westalpen tatsächlich sinnhaftig ist. Und auch daran, welche unglaublichen Effekte diese Verbindung auf den europäischen Güterverkehr angeblich haben soll. Erwartbar ist, dass die Verbindung von Italiens Nordosten nach Frankreich besser wird. Mehr aber auch nicht (vgl. Einschätzungen eines deutschsprachigen No-TAV-Blogs).

Doch darüber spricht niemand mehr, was zählt, ist – und da liefern sich Lega und der Partito Democratico ein Wettrennen – die Fünf Sterne als naive, unerfahrene und unfähige Modernisierungsgegner dastehen zu lassen, die das Land nur weiter hinter den anderen europäischen Staaten zurückbleiben lassen. Das Unschöne für die Fünf Sterne daran ist: Es ist etwas dran. Cinque Stelle war angetreten, um Zukunftsthemen zu besetzen und sie mit bewahrenden Zielen zu verknüpfen. Umweltschutz, Wasser als öffentliches Gut, Fortschritt, Netzinfrastruktur und ein wenig über allem: Transparenz, Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft.

Davon ist wenig geblieben. Es sind noch immer wichtige Themen. Doch Naivität, Unerfahrenheit, Opportunismus gegenüber der Wählerschaft sowie ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Expertentum und Wissenschaft haben die Fünf Sterne in die derzeitig Situation geführt. Und auch, dass im Europa 2018/2019 Nationalismus, Rassismus und starker-Mann-Gehabe wieder „Konzepte“ sind, mit denen sich die Wählergunst am besten einfangen lässt.