Sono una simpatica…

Warum es so schwer fällt, Giorgia Meloni so unsympathisch zu finden, wie es ihre Politik verdient hätte.

Visit of Giorgia Meloni, President of the Italian Party of European Conservatives and Reformists, to the European Commission

Vielleicht steht auch Giorgia Meloni manchmal vor dem Spiegel und singt den Celentano-Hit „Sono un simpatico, mentre mi guardo allo specchio, sono un simpatico…“. Sie müsste ja noch nicht mal eine grammatikalische Anpassung vornehmen, ist sie doch il presidente!

Wie sie am vergangenen Samstag auf der Bühne an der Piazza del Popolo in Rom stand, mit einem kurzärmeligen, aber schicken Pulli, mit kurzen, leicht gelockten Haaren, dunkel lackierten Fingernägeln und vielen Armbändern an den Armen – wie sie lächelt, die Nase kraus zieht, eine kurze Tanzeinlage einlegt. Diese Frau, eine Ultrarechte, die Rechtsstaatlichkeit und liberale Demokratie in Italien und Europa bedroht? Ma va‘!

Es wird ja zu recht kritisch gesehen, wenn Politikerinnen immer nach ihren Frisuren, Schuhen und Klamotten beurteilt werden. Doch in Melonis Fall wäre es nicht anders, wäre sie ein Mann: Diese betonte Lockerheit, Natürlichkeit, Normalität. Kein Kostüm, keine Polit-Bürokratin. Das ist ihre Masche: sono una di voi! Dal popolo. Sie hat sich nicht verändert, ist ein normaler Mensch geblieben. Sie sieht aus wie eine von uns, bewegt sich auch so, zeigt Emotionen. Sympathisch, nicht?

Anders, aber mit ähnlichem Effekt: Ihre bissige Begrüßung des Präsidenten Kampaniens, Vincenzo de Luca, der sie vor einigen Monaten als „stronza“ beleidigt hat. Arschlöchin also. Sie trifft ihn zu einem offiziellen Termin im Freien mit vielen anderen Repräsentant:innen und sagt gut hörbar und natürlich von vielen Mikrofonen aufgezeichnet: „Presidente, sono quella stronza della Meloni, come sta?“ (Ich bin das Arschloch Meloni, wie geht’s?) Touché. Da fehlten dem sonst wenig zimperlichen De Luca die Worte. Eine Meloni lässt sich nicht unterbuttern und beleidigen, schon gar nicht von Männern, die sich für die wirklich Mächtigen halten. Das hat sie auch schon anderen gezeigt (Berlusconi). Und das schlachtet sie aus: Das ist ihr Feminismus! Das ist ihre Selbstverteidigung als Frau. Frau kommt nicht umhin, das durchaus sympathisch zu finden, gegenüber einem alten Choleriker wie De Luca, der es sicher schon vielen und bestimmt vielen Frauen in seinem Umfeld schwer gemacht hat.

Vielen Politiker:innen und politischen Beobachter:innen scheint es nicht viel anders zu gehen: Enrico Letta als damaliger Parteiführer des PD sagte schon, dass er trotz aller inhaltlichen Differenzen sehr gut mit ihr auskommt. Mit Joe Biden versteht sie sich bestens. Im FAZ-Podcast neulich erhob der Italien-Korrespondent Matthias Rüb sie durchaus positiv konnotiert bereits zur neuen starken Frau Europas. Ein Manfred Weber spricht schon lange mit ihr über mögliche Koalitionen auf europäischer Ebene, nun hat auch Ursula von der Leyen eine Lanze für sie gebrochen. Klar, da stecken Eigeninteressen dahinter. Aber ein Geert Wilders oder eine Marine Le Pen bekommen keine politischen Komplimente. Giorgia schon. Giorgia macht eine gute Figur auf europäischem Parkett. Sie ist freundlich, umgänglich, humorvoll, spricht mehrere Sprachen, markiert nicht den Sheriff [ja, den Sheriff].

Da wirkt es doch seltsam, wenn Kanzler Scholz von Ursula von der Leyen einfordert, sich keinesfalls von Meloni und ihrer Fraktion als Kommissionspräsidentin bestätigen zu lassen. Keine Deals mit denen! Warum denn nicht, die ist doch gar nicht so?

Ist sie nicht? Das ist schwer zu sagen. Sie will eine Verfassungsreform, die das Kräftegleichgewicht der parlamentarischen Demokratie deformiert – oder demoliert? Sie will Fernsehen und Medien in ihrem Sinne senden lassen und nimmt entsprechend Einfluss – auf vielerlei Wegen, und wenn Journalist:innen verklagt werden. Sie will die angebliche kulturelle Hegemonie der Linken durchbrechen und eine kulturelle Hegemonie der Rechten, der Nation, dagegensetzen. Sie will es gleichgeschlechtlichen Paaren und abtreibungswilligen Frauen so schwer wie möglich machen – wenn sie dafür keine Gesetzesänderungen braucht, umso besser. Das wahrt den Schein. Sie regiert, als eine von vielen rechtsgerichteten Regierungen in Italien vor ihr, und behauptet ständig, die Linke hätte die ganze Zeit die Macht gehabt und alles bestimmt und alles diktiert. Dem sei endlich ein Ende zu setzen. Das ist Ideologie und Identitätspolitik, während auf der realpolitischen Ebene wenig passiert.

Sie will die Narrative in Italien ändern, denn mit den Narrativen ändert sich das Verhalten der Menschen. Dann braucht es gar keine Gesetze, um manche Dinge wieder so werden zu lassen wie früher. Das Früher, aus dem Meloni kommt, auf das sie in ihrer Autobiografie so stolz und immer wieder zu sprechen kommt, und das sie heute gern beschweigt, ist und bleibt der MSI. Der Movimento Sociale Italiano. Die stolzen Kämpfer für die große italienische Nation. Die immer ausgegrenzt und unterdrückt wurden. Deren Meinung nie anerkannt wurde. Die es jetzt endlich an die Macht geschafft haben.

Es ist zu befürchten, dass Giorgia Meloni dieser Erzählung selbst glaubt. Dass sie diese Opferperspektive, der sich nun die verdiente Revanche anschließt, wirklich prägt und antreibt. Doch ausgegrenzt wurden in der italienischen Republik niemals die Konserativen. Sondern nur die Nachfolger der Faschisten, die Reaktionären. Die Konservativen waren stets an der Macht, ob nun die Democrazia cristiana oder Berlusconi mit seinen Parteien. Wenn Giorgia Meloni also jetzt ihre Leute endlich angekommen sieht, befreit von der politischen Marginalisierung, dann meint sie nicht die Moderaten. Das sollte uns beunruhigen. Egal wie sympathisch sie lächelt. Nicht immer sind Aktivisten beim „Marsch durch die Institutionen“ zu … loyalen Vertretern dieser Institutionen geworden. Manchmal haben sie sie auch okkupiert. Inbesondere von rechts.