5-Sterne: zurück in die Zukunft?

5-Sterne-Gründer Beppe Grillo serviert Giuseppe Conte ab.
Update: Ein Schlichtungsversuch gegen die Spaltung

Giuseppe Conte mit Ursula von der Leyen als er noch Ministerpräsident Italiens war. Mit 5-Sterne Gründer Beppe Grillo konnte er sich auf keine Reformierung der Bewegung einigen.

Die Reaktion ließ auf sich warten – und dann kam sie heftig. Auf den Vorschlag des ehemaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, wie die 5-Sterne-Bewegung strukturell reformiert werden könnte, kam von Beppe Grillo zunächst keine Antwort. Einige deuteten das als gutes Zeichen, andere waren skeptischer: Conte hatte Grillo ein Ultimatum gestellt und dessen Rolle als Garant der Bewegung klar und eng eingrenzen wollen, schwer vorstellbar, dass dies beim exzentrischen Ex-Komiker keine Abwehrreflexe hervorrufen sollte.

Gestern Abend dann schrieb Grillo auf seinem Blog und fällte ein vernichtendes Urteil über den ehemaligen Ministerpräsidenten: keine politische Vision, keine Managerqualitäten, kurzum nicht die geeignete Person für einen politischen Neuanfang. Im Zentrum seiner Kritik steht, neben Conte als Person, die vermeintliche Neuausrichtung der 5-Sterne auf eine Person, den neu zu schaffenden Vorsitzenden. Grillo führt den orginiär horizontalen Charakter der Bewegung ins Feld, der sich nicht mit der Delegation von Entscheidungen auf Einzelpersonen vertrage. „Ein Entwurf, und weg damit“ lautet der Titel seines Blog-Beitrags, womit er den von Conte erarbeitete Vorlage zur Strukturreform buchstäblich in den Papierkorb warf.

Horizontale Basisdemokratie statt leadership. Grillo akzeptiert nur sich selbst als Anführer.

Laut Grillo soll also die gemeinschaftliche Debatte und Entscheidung gestärkt werden, eine gemeinsame Neuausrichtung durch die Beteiligung aller gefunden werden. Es ist ein Zurück zu den Wurzeln, bei dem die breite, aber diffuse Mitgestaltung „aller“ im Vordergrund steht, ohne jedoch das Problem zu beheben, das die 5-Sterne seither mit sich tragen: Entscheiden wirklich alle, oder wird vielmehr nur ratifiziert, was eine nicht legitimierte Führungsspitze bereits entschieden hat? Das Horizontale der Bewegung ist zugleich das Atomisierte, die Beteiligung aller ermöglicht augenscheinlich basisdemokratische Entscheidungen. Tatsächlich eröffnet sie undefinierten Spielraum für die – undefinierte – Führungsschicht der Bewegung, insbesondere für den „Garanten“ Beppe Grillo.

Ein weiteres Zeichen, dass an alte Zeiten angeknüpft werden soll, ist, dass die nun bevorstehende Abstimmung zur Besetzung des Direktoriums – ein Gremium, dessen Einrichtung schon vor längerer Zeit beschlossen, aber nicht umgesetzt wurde – über die Plattform Rousseau erfolgen soll. Von dieser Plattform und deren Betreiber Davide Casaleggio hatten sich die 5-Sterne, unter Federführung von Giuseppe Conte, erst kürzlich getrennt. Diese Plattform steht wie kaum ein anderes Merkmal für die demokratische Ambivalenz der 5-Sterne: maximal gleichberechtigte Beteiligung aller an den zentralen Entscheidungen bei gleichzeitiger größter Intransparenz der Daten der Eingeschriebenen, über die allein der Associazione Rousseau und damit Casaleggio junior verfügte, sonst aber niemand im Movimento.

Giuseppe Conte wollte dagegen innere Strukturen und Entscheidungsprozesse aufbauen, die für mehr Verlässlichkeit und auch nachvollziehbar demokratische Legitimation sorgen. Er hätte damit die 5-Sterne den anderen Parteien, überhaupt der Organisationsform Partei angenähert, zu einer repräsentativ organisierten Partei. Damit wären die 5-Sterne zu einem strukturierteren Player in der nationalen Politik geworden, hätte gegebenenfalls den Mechanismus gebremst, dass die Bewegung unter dem Druck der politischen Prozesse und Systemzwänge immer weiter zerfaserte und zerfiel. Zugleich wäre es eine Abkehr von allem gewesen, wofür die Bewegung einst stand.

Gleichzeitig hat Grillos Argument etwas für sich, dass mit der Einrichtung eines Vorsitzenden und der Fokussierung auf Conte zwar ein Wahlerfolg wahrscheinlicher geworden wäre, das langfristige Überleben der 5-Sterne jedoch längst nicht gesichert gewesen wäre. Auch hier wäre die Personalisierung stark gewesen, wäre Wohl und Wehe von der einen populären Figur abhängig gewesen. Sich dem Beispiel der anderen Parteien anzunähern, heißt in Italien – und nicht nur dort – vor allem das leadership-Modell zu wählen. Es gibt einen leader, der oder die die Programmatik bestimmt, ohne die nichts geht in der Partei und die den direkten Draht via social media zum (Wahl-)Volk sucht. Interne Parteigremien sind loyal besetzt und fungieren eher als Abstimmungsmaschinerie denn als innerparteiliche Willens- und Meinungsbildungsorgane. Der Bestand und Erfolg dieser Parteien hängt so sehr von der Führungsperson ab, dass nicht selten mit deren sinkendem Stern – und das kann in einer populistisch geprägten Politik recht schnell gehen – die Existenz der ganzen Organisation auf dem Spiel steht. Abspaltungen, Umbenennungen, Neugründungen sind die Folge.

Dies kann und sollte im demokratisch-repräsentativen Sinne nicht das Ziel sein. Grillos Weg der Wiederbelebung des horizontalen Ansatzes verspricht jedoch nicht der demokratischere zu sein. Denn letztlich war die Auseinandersetzung um das neue Statut des Movimento 5 Stelle nicht zuletzt ein Machtkampf zwischen dem Gründer und dem ehemaligen Ministerpräsidenten. Letzterer wollte kein „halber Chef“ sein, ersterer wollte seine Position als Letztentscheider nicht hergeben. Die Personalisierung politischer Entscheidungen ist in Italien allgegenwärtig.

Update: Parlamentarier:innen der 5-Sterne machen einen Vorstoß zur Schlichtung

Der Konflikt zwischen den machtvollen Streithähnen Beppo Grillo und Giuseppe Conte musste erst öffentlich eskalieren, ehe einige andere große Namen – unter anderen Luigi di Maio und Vito Crimi – aus Fraktionen, Ministerien und Parteigremien geschlossen intervenierten. Angesichts der Zuspitzung der persönlichen Auseinandersetzung stand die Spaltung der Bewegung zu befürchten – und in Italien kennt man nur zu gut das Schicksal der Klein- und Kleinstparteien, die sich mit prominenten Anführer:innen von der „Mutter“ abgespalten haben. Für sie endet es meist in der Bedeutungslosigkeit, doch auch die Hauptorganisation wird geschwächt.

Die Parlamentarier:innen der 5-Sterne hätten nur ihre Kolleg:innen vom PD oder Forza Italia fragen müssen, sofern ihnen die eigene Abspaltung im Zuge der Regierungsbildung Draghi nicht schon genügte. Also ging es darum, die Egomanen zu bändigen und ihnen nicht nur vor Augen zu führen, was auf dem Spiel steht, sondern auch, dass die 5-Sterne eben keine Ein-Mann-Bewegung sind, in der einer mal eben allein entscheidet. Nun ist die Wahl des Direktivkommitees erst einmal ausgesetzt, ebenso die Frage, ob dieses nun auf der Plattform Roussea (wo die Daten der 5-Sterne-Mitglieder nicht mehr liegen) oder auf einer anderen Plattform stattfindet (was nach Statut nicht möglich ist).

Stattdessen soll sich ein siebenköpfiges, informelles Gremium aus Repräsentant:innen aller institutioneller Ebenen der 5-Sterne Contes Entwurf für ein reformiertes Statut anschauen und Änderungen verhandeln. Mit diesem Schritt ist sehr wahrscheinlich geworden, dass es letztlich doch noch eine Einigung geben wird. Der Schaden ist aber bereits entstanden. Wie Beppe Grillo und Giuseppe Conte nach der öffentlichen Schlammschlacht noch ein überzeugendes Führungsduo bilden sollen, bleibt mehr als fraglich.

Vom Tisch scheint jedenfalls ein Alleingang Contes, der mit der Gründung einer eigenen Wahlliste oder Partei liebäugelte. Es waren nicht viele bereit ihm zu folgen – womit ihm das Schicksal einer darbenden Kleinstpartei von vornherein erspart blieb. Wie viel politisches Gewicht er noch haben kann, nach dieser öffentlichen Demontage, die erneut seine politische Vision in Frage stellte, bleibt fraglich. Contes letzte Regierung war schon an offenkundiger Ideenlosigkeit und fehlender Programmatik gescheitert, die Matteo Renzi damals genüsslich sezierte. Grillos Vorwürfe klangen nun ähnlich. Und auch wenn es sich in beiden Fällen um vornehmlich Machtgerangel, denn um inhaltliche Auseinandersetzung handelte, die Chancen, dass Giuseppe Conte bei der nächsten Wahl das linke Lager anführen wird, sind nicht gerade gestiegen.

Der schweigsame Präsident

Mario Draghi spricht wenig in der Öffentlichkeit. Heute hielt er seine erste Rede im Senat.

Neulich wünschte jemand Mario Draghi Glück, als dieser gerade im Wagen vorbeifuhr. Draghi ließ das Fenster herunter und antwortete auf die italienische Redensart „In bocca al lupo“ wie es sich gehört: „Crepi il lupo“. Im Fernsehen wurde das kommentiert mit: Mario Draghi hat etwas gesagt, endlich hat auch er gesprochen.

Denn in den letzten Tagen sprachen alle, die in Italiens Politik etwas zu sagen haben, und auch jene, die nichts zu sagen haben. Zudem äußerten sich zahlreiche Journalisten, Professorinnen und diverse Expertinnen ausgiebig zur politischen Lage. Einzig der Protagonist, um den sich alles drehte, blieb still: Mario Draghi gab keine Interviews und keine Statements, gab keine Zwischenstände oder Planungen preis. Seine Auftritte vor der Presse blieben auf ein Minimum und auf die Kernaussagen zu seiner künftigen Regierung beschränkt. Und erst recht gab es keine tweets oder posts oder storylines – Italiens neuer Ministerpräsident ist ein no-social.

Ein ungewohnter Kommunikationsstil für Italien

Dieser neue Stil ist für Italiens Politik- und Medienlandschaft eine Neuerung. Sicherlich gewöhnungsbedürftig. Sie passt aber ganz ausgezeichnet zu den Erwartungen, die an den neuen politischen Heilsbringer gestellt werden: Einer, der die Dinge ernst nimmt. Einer, der sich nicht ständig profilieren muss, weil er bereits ein Profil hat. Einer, der nicht nutzlos daherredet, sondern arbeitet. Allerdings erhöht die Schweigsamkeit auch die Erwartungen an das, was dann kommt, wenn die Stille durchbrochen wird. Umso mehr, wenn die Ansprache dann im Parlament stattfindet, was durchaus auch ein Statement ist: Nicht schon ständig in den Medien präsent zu sein, sondern zuallererst dort, wo in einer Demokratie Politik gemacht wird – im Parlament.

Nun hat Mario Draghi, designierter neuer Ministerpräsident Italiens, im Senat seine Rede gehalten, mit der er das Vertrauen in dieser Kammer erhalten will (zur Zeit läuft die Debatte noch). Wer eine Ansprache erwartet hatte, die dem politische Erdbeben, das dieser Regierungsbildung vorausgegangen war, ebenso entspricht wie die pandemische wie ökonomische Ausnahmesituation, in der sich Italien befindet, wurde zumindest vom Auftritt her enttäuscht. Mario Draghi hat Großes vor – aber er fasst es nicht in große Worte.

Standing ovations für Conte, wenig Enthusiasmus für Draghi

Eher noch fasst er es in Zahlen, und fügt nebenbei hinzu, dass die Zahlen der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Gleichwohl hält er sich an ihnen fest und kommt überraschenderweise ausgerechnet hier ein paar Mal ins Straucheln; Versprecher und Verblätterer nehmen den durchaus bedrückenden Zahlen – zur Pandemie und ihren Folgen – ihre Wucht, und dass, wo Zahlen ohnehin selten mitreißen. Draghi beginnt seine Rede mit der Pandemie und dem nationalen Ausnahmezustand, und vielleicht weil man es ein wenig zu oft gehört hat zuletzt, vielleicht, weil er keine neuen, keine authentisch berührende Worte dafür findet, bleibt das Auditorium eher unbeeindruckt. Den größten Applaus gibt es nach ein paar Minuten, als der neue Ministerpräsident dem alten dankt. Der Beifall, der in diesem Moment für Giuseppe Conte aufbrandet, hält derart lange an, dass es fast schon unangenehm wirkt für seinen Nachfolger. Als es dann in Teilen auch noch Standing Ovations gibt, wird das den anderen Senatorinnen zu viel: Buh-Rufe hallen durch den Plenarsaal.

Und doch lässt diese Situation bereits erahnen, was die Schwäche des neuen Regierungschefs sein könnte: Giuseppe Conte hat viele Sympathien gewonnen, in der Bevölkerung und auch unter den Parlamentariern. Dafür hat man ihm manche inhaltliche Unausgereiftheit nachgesehen. Bei Mario Draghi scheint es umgekehrt: Er ist der Experte, der nun die bestmöglichen Reformen und Programme auf den Tisch legt, aber ob er die Herzen der Bürgerinnen und Bürger gewinnen kann? Draghi steigert sich im Laufe seiner Rede. Wenig überraschend ist er dort am überzeugendsten, wo er seine Expertise geltend machen kann. Die notwendige Steurerreform, die als Ganzes angegangen werden muss, die Ausgestaltung der Verwaltungs- und Justizreform – es ist nicht nur überdeutlich, dass er um deren Bedeutung und Dringlichkeit weiß, dass er jeden Schritt, der diesbezüglich in der Vergangenheit gegangen wurde, kennt, sondern auch, dass er eine präzise Vorstellung davon hat, wie diese Reformen angegangen werden müssen. Und diese unbeirrt angehen wird.

Gleiches gilt für die Wirtschaftspolitik und Draghis Konzept, wie er Italien ökonomisch wieder zum Laufen kriegen will. Er stärkt die Hoffnung, dass mit dieser Regierung endlich die zukunftsgerichteten, innovativen Ideen umgesetzt werden, mit denen Italien wieder anschlussfähig wird in Sachen Produktivität, Arbeitsstandards oder Nachhaltigkeit. Ideen, die zudem auf dem festen Boden ökonomischen Sachverstands stehen. Allerdings wird es hier politisch spannend, denn Draghis Ausrichtung ist eindeutig wirtschaftsliberal – neoliberal, wenn man dieses Wort gebrauchen möchte – und das ist eine Haltung, die entgegen anderslautender Äußerungen des politischen Personals weder links noch rechts besonders viele überzeugte Anhänger hat.

Überzeugende Inhalte, verbesserungswürdige Rhetorik

Doch abseits der – zweifelsohne überzeugenden – Inhalte, zu denen auch die Investitionen in Kultur, Bildung und Forschung zählen, bleibt Mario Draghi überraschend blaß. Wenn es rumort im Auditorium, etwa bei einigen Äußerungen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, unterbricht er sich und schaut in die Runde wie ein Lehrer, der sich insgeheim echauffiert über die aufmüpfigen Schüler, es aber unter seine Würde betrachtet, darauf einzugehen – und sei es nur durch die Veränderung seines Gesichtsausdrucks. An den potentiell emotionalsten Stellen seiner Rede, wenn er auf die Kraftanstrengungen der Italiener und Italienerinnen in dieser Pandemie zu sprechen kommt, wenn er von der Pflicht aller spricht, nun Eigeninteressen dem Wohl der Nation unterzuordnen, dann springt höchstens ein schwacher Funke über.

Italien, und Europa, können davon ausgehen, dass Mario DRaghi die Dinge angeht, die am dringlichsten sind, mit Sachverstand, Plan und Durchsetzungsstärke. Doch es wird kaum reichen, die Dinge gut zu machen. Er wird darüber reden müssen. Mit weniger Zahlen, dafür mit mehr Empathie. Die Reformen werden umfassend sein, und obwohl Draghi mit dem Recovery Plan EU-Gelder in Höhe von 210 Milliarden verteilen kann, wird es Missfallen, Unstimmigkeiten und auch Frust geben. Man gewinnt Zustimmung nicht allein durch gute Bilanzen. Die Bevölkerung will gehört und verstanden werden, dazu muss sie einen Regierungschef vor sich haben, der kommuniziert. Der so kommuniziert, dass sich die Menschen wiederfinden.

Bleibt Mario Draghi seinem Stil treu, kann das schwierig werden. Zwar haben sich die Italienerinnen und Italiener – mal wieder – einen Fachexperten gewünscht, der alles zum Guten wendet, weil er klug ist und uneigennützig. Die Vergangenheit hat aber schon oft gezeigt, dass ihnen ein Kommunikator, ein Entertainer, eine, die sich volksnah gibt, einer, der ihnen ähnlich ist, in Wirklichkeit viel lieber ist. Natürlich muss Draghi keine Wahlen gewinnen, also muss er auch nicht für sich werben. Doch in seine Stille drängen schon jetzt andere Stimmen, seine sachliche Distanziertheit wird früher oder später die Demagogen anspornen, um das Wahlvolk bei den Emotionen zu packen. Es bleibt abzuwarten, wie lange Mario Draghis Expertise ihn durch Italiens unruhige politische Gewässer trägt.