Alan Friedman: Dieci cose (+2) da sapere sull’economia italiania

Zehn (plus zwei) Dinge, die man über Italiens Wirtschaft wissen muss

Wer schon immer gern verstehen wollte, warum Italien eigentlich das wirtschaftliche Sorgenkind Europas ist, erhält mit Alan Friedmans Buch leicht verständliche Antworten.

Friedmans Zielgruppe ist Otto Normalbürger, l’uomo medio. Diejenigen Menschen, die ihn auf seinen Lesereisen wiederholt ansprachen, weil sie Antworten auf die dringlichen, aber zumeist kompliziert erscheinenden Fragen zu Italiens Wirtschaft haben: Wie viel Wachstum ist genug? Was schafft neue Arbeitsplätze? Schadet uns der Euro? Werde ich von meiner Rente leben können? Das ist gut, denn da er sich an die einfachen Bürger*innen wendet, lesen sich die gut 270 Seiten rasch und unterhaltsam durch und am Ende ist man ein bisschen schlauer.

Allerdings nutzt Friedman zur Veranschaulichung einen Vergleich, den man eigentlich nicht ziehen kann: Er beschreibt eine normale italienische Familie und vergleicht deren finanzielle Situation – Höhe der Schulden, Höhe der Einkünfte und Ausgaben – mit der des italienischen Staates. Ein Staat ist jedoch ökonomisch gesehen weder eine Familie noch ein Unternehmen. Ein Staat kann – und muss, wie man in der gegenwärtigen Krisensituation überdeutlich sehen kann – sich weit mehr verschulden und Geld ausgeben als es eine Privatperson jemals könnte. Ein Staat kann zudem ein ganzes Stück weit eigenständig entscheiden, wie hoch seine Einnahmen sind – indem er Steuern festsetzt.

Doch abgesehen von diesem hinkenden Vergleich bringen einem die Beispiele der Familie Giorgetti die alltäglichen Probleme des italienischen Staates, seiner Unternehmen und seiner Steuerzahler*innen sehr nahe. Die Banken, die keine Kredite mehr gewähren ohne eine Sicherheit, die an sich schon so viel Wert ist wie der Kredit, der aufgenommen werden soll. Weil sie selbst auf so vielen ungedeckten Krediten und faulen Anleihen sitzen, dass sie kein weiteres Risiko eingehen können. Der Sohn, der nach abgeschlossenem Studium keine Arbeit findet, oder höchstens schwarz und unterbezahlt, und der es schließlich aufgibt – wie so viele Italiener*innen in der Altersspanne zwischen 25 und 35, die weder in Ausbildung, noch in Arbeit sind und keine Perspektive haben. Die Vielzahl an Abgaben, die ein Barbesitzer monatlich zu leisten hat und vor allem der Papierkram, der damit zusammenhängt und jede unternehmerische Tätigkeit zu einem bürokratischen Ungetüm macht.

Alan Friedman macht darüber hinaus sehr deutlich: Ein Staat mit geringem Wachstum, hoher Arbeitslosigkeit und zugleich einer derartigen Schuldenlast, wie Italien sie trägt, kann sich tatsächlich kaum mehr so flexibel bewegen, wie Staaten es eigentlich müssten. Erhöht er die Steuern, um die Einnahmen zu erhöhen, würgt das die Wirtschaft weiter ab, weil Unternehmen nicht mehr investieren, ihre Mitarbeiter*innen entlassen oder zumindest keine neuen einstellen, obwohl das dringend nötig wäre. Währenddessen bleibt den Arbeitnehmer*innen weniger Geld für Konsum, wobei das für nicht wenige heißt nicht zu wissen, wie man bis zum Monatsende kommen soll.

Kürzt er die Ausgaben, dann verfügen jene, die es brauchen, über noch weniger soziale Sicherung, die Arbeitslosen etwa. Investitionen in die Infrastuktur bleiben aus und ohne funktionierende Straßen, Verwaltung, schnelles Internet usw. investieren weder Unternehmen noch externe Geldgeber. Hinzu kommt: Fehlt das Geld an Universitäten, Krankenhäusern, Schulen, gehen die gut ausgebildeten, mobilen jungen Menschen ins Ausland. Der brain drain ist seit Jahren ein großes Problem in Italien.

Nimmt der Staat einfach weiter Schulden auf, dann sind die Zinsen und Risikoaufschläge irgendwann – oder schon jetzt – so hoch, dass es neuer Schulden bedarf, nur um die Zinsen der alten zu bedienen.

So anschaulich Friedman die vertrackte Situation, in der sich Italien befindet, schildert, so wenig weist er allerdings einen Ausweg. Nur in der Frage des Rentensystems unterstreicht Friedman die absolute Notwendigkeit, das so genannte Legge Fornero, das Gesetz zur Rentenreform benannt nach der damaligen Ministerin, beizubehalten und bietet damit einen konkreten Schritt, der getan werden müsste. Ansonsten machen die genannten Punkte, die zu tun wären, eigentlich nur deutlich, wie fast unlösbar die Aufgabe ist: Eine Reform der Verwaltung, des Justiz- und Arbeitsmarktsystems, der Banken, der Auflösung alter Privilegien, Bekämpfung von Korruption und Klientelismus in praktisch allen Bereichen… welche Partei, welche politischen Akteure wagen sich an solche Herkulesaufgaben schon heran, wenn als Lohn vor allem Gegenwind, Anfeindungen der Profituere des Status quo und – sollten sich nicht rasch positive Effekte einstellen, wovon nicht auszugehen ist – der Verlust an Wählerstimmen winken.

So war es schließlich auch bei der Rentenreform: Praktisch alle wahlkämpfenden Parteien 2013 und 2018 kritisierten die Riforma Fornero und stellten in Aussicht, sie mehr oder minder rückgängig zu machen. Auch auf dieses Problem verweist Friedman abschließend: Die Lage Italiens wäre schon kompliziert genug, hätte sie wenigstens eine politisch verantwortungsvolle Führung. Stattdessen sind Populisten an der Regierung – damals die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega – die vor allem nach der kurzlebigen Zustimmung des Volkes haschen. Allerdings haben sich die Italiens Otto Normalbürger selbst zuzuschreiben.

PS: Der kurze Seitenblick auf das italienische Gesundheitssystem (S. 96-97) ist eine erneute Lektüre in Corona-Zeiten wert: Erst Ineffizienz, Verschwendung und daraus folgend überbordende Ausgaben, die gerade in Zeiten knapper Kassen dringend gekürzt werden müssen. Dann wenger Ausgaben, was schlechtere Ausstattung und höhere Zuzahlungen vonseiten der Patient*innen heißt. Da Gesundheit vornehmlich in der Verantwortung der Regionen liegt, ist die Diskrepanz zwischen Kosten und Versorgung in schlecht aufgestellten Regionen besonders hoch. Wer diese wenigen Zeilen liest, versteht, warum die italienische Regierung im März unbedingt verhindern musste, dass das Corona-Virus sich vom Norden Richtung Zentrum und Süden ausbreitet.