Kulturkampf

Wir schreiben Geschichte, sagt Meloni, da sind Fehler nicht erlaubt. Fehler wie der ihres Kulturministers, der an vorderster Front die vermeintliche kulturelle Vorherrschaft der Linken beenden sollte. Es klingt wie ein Drohung, nicht nur für den Minister.

Hier war Minister Sangiuliano noch nicht in Begleitung von Maria Rosaria Boccia unterwegs (sondern auf einem Termin mit EU-Kommissarin Gabriel), die ihm heute zum Verhängnis wurde. Er trat als zurück, weil Boccia ihn als erpressbar diffamierte und wiederholt Bilder und Videos von Amtsdokumenten und -gesprächen veröffentlichte.

Gennaro Sangiuliano, der Journalist und Autor, sollte eigentlich als intellektueller Vordenker installiert, als Minister mit dem entsprechenden Handlungsspielraum ausgestattet, die Dominanz der Linken im kulturellen Diskurs durchbrechen. Das bedeutet weit mehr als für sich zu reklamieren, dass man doch wohl noch etwas wird sagen dürfen.

In der Wahrnehmung der italienischen Regierung gibt es eine kulturelle Hegemonie der Linken, wobei die „Diktatur der political correctness“, die Sangiuliano in einer Rede noch in seiner Funktion als Leiter der Nachrichtensendung TG2 beklagte, nur einen Aspekt unter vielen darstellt. Vielmehr geht es um einen eingeschränkten Denk-Raum, den „pensiero unico“, die Durchdringung aller kulturellen Manifestationen vom linken Weltbild. So, wie es der kommunistische Intellektuelle Gramsci einst den linken Intellektuellen zum Auftrag machte. Dabei ist mehr als fraglich, dass in einem Italien mit stark politisch beinflusstem öffentlichen Rundfunk, eines Privatfernsehens fest in den Händen der Berlusconi-Familie, einem enorm traditions- und umfangreichen Kulturbetrieb – ob nun Opern, Theaterhäuser, Museen oder archeologische Stätten – dass in so einer Umgebung eine kulturelle Dominanz der Linken erwachsen könnte – und nicht vielmehr ein breit gefächerter kultureller Raum mit vielen Nischen.

Doch aus der Wahrnehmung der eigenen (kulturellen) Unterdrückung speisen sich die Überzeugung und Aktivismus der rechten Regierung: Überall muss etwas durchbrochen, zurückerobert, besetzt und verteidigt werden. Sangiuliano war ein besonderer Verfechter dieser Linie. Unter seiner Leitung testete das Nachrichtenformat des zweiten Senders der RAI, wie weit der kulturelle Diskurs „zu öffnen“ geht. Mehrmals brachte ihm das deshalb Rüffel der Agcom, der Medienaufsichtsbehörde ein (vgl. Il Post). Seit Meloni Regierungschefin ist, macht sich das in allen Medien bemerkbar: Überall muss kontrolliert und gesteuert werden, insbesondere die RAI, aber auch andere Sender und Zeitungen bemerken eine neue Form der Gängelung, der – welch Ironie – Einengung des Diskurses.

Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse, bei der Italien Gastland ist, haben rund vierzig Autor:innen einen offenen Brief an den Direktor der Buchmesse und die Verlagsvereinigung AIE verfasst. Dabei brachten sie deutlich zum Ausdruck, dass sie eine schleichende, gut verdeckte Neuausrichtung des öffentlichen Diskurses bemerken, die bei ihnen „Unbehagen“ auslöst. Es ist nicht ganz greifbar, beschrieb Paolo Giordano dieses Gefühl vor einigen Tagen in der Sonntagszeitung der F.A.Z. Viele kleine Dinge, jedes für sich genommen erklärbar, bedeutungslos, doch in der Summe ergeben sie ein Bild der Einschränkung, der Beeinflussung, der Ausgrenzung.

Diese Einflussnahme ist nicht allein machtpolitisch motiviert, es geht um mehr, als unliebsame Kritiken zu unterbinden: „Noi stiamo facendo la storia, e dobbiamo esserne tutti consapevoli“, dies sagte Giorgia Meloni kürzlich in einer Sitzung der Führungsriege von Fratelli d’Italia: Wir schreiben Geschichte, dass das bitte allen bewusst ist! Es sei“eine historische Gelegenheit, die die Bürger uns gegeben haben, die nicht vertan werden darf“ (vgl. Il Giornale). Fratelli d’Italia, die Partei, die ihre Wurzeln im postfaschistischen MSI hat, deren Führung allesamt bei der Fronte della Gioventù sozialisiert wurde (Grüße an die gefallenen Kameraden inklusive), geht es um mehr als um Ämter, Macht, Gestaltung. Es geht um einen Paradigmenwechsel, einen turning point in der jüngeren italienischen, möglicherweise europäischen Geschichte. Dieser fundamentale Antrieb ist nicht außer Acht zu lassen: Das sind Überzeugungstäter:innen.

Da darf kein Fehler passieren, keine Ablenkung vom wichtigen Ziel – da darf man keiner jungen Frau auf den Leim gehen, die im besten Fall eine Arbeitsstelle, im schlechtesten den Minister und die Regierung bloßstellen wollte. Da ist dann auch kein Platz „für dumme Folkore“, wie Meloni der heutigen Jugendorganisation der FdI ins Stammbuch schrieb, die ein bisschen zu sehr Mussolini und Hitler verehrten, wie fanpage.it öffentlich machte (vgl. Il Post). Diese Ansage sollte nicht nur diejenigen beunruhigen, die wahlweise ihre Libido oder ihren rechten Arm nicht ganz im Griff haben, sondern vielmehr alle Italiener:innen. Denn aus den Reaktionen Melonis wird deutlich, dass sie so etwas vor allem nicht brauchen kann. Auf dem Weg zu der historischen Wende müssen sich alle disziplinieren. Alles, was der Opposition Munition gibt, ist zu unterlassen, das stellte Meloni angesichts der Verfehlungen ihres Kulturministers erneut heraus (vgl. Il Post). Die Verurteilungen in der Sache lässt Meloni nicht aus, aber meist erst dann, wenn es nicht mehr anders geht. Es entsteht der Eindruck, dass sie vor allem keine Angriffsfläche bieten will, solange sie noch nicht am Ziel sind.

Alle anderen sollten sich fragen, ob sie abwarten wollen, bis sie dort angekommen sein wird.