Italien und die EU. Verpasste Chancen auf beiden Seiten

Die EU weist Italiens Haushaltspläne zurück. Eine Absage mit Ansage, schließlich hatte die italienische Regierung ihren Entwurf kaum geändert nach Brüssel geschickt. Derzeit sind weder die Kritik der EU-Kommission noch die Höhe des so genannten spread, der Differenz zwischen dem Risikozuschlag auf deutsche und dem auf italienische Anleihen, oder sonstige Börsennotizen ein Maßstab für die Regierung aus Lega und M5S. Was zählt, sind Umfragewerte. Und da hat die Lega mit ihrem konfrontativen Kurs gegen die EU seit Übernahme der Regierung kräftig zugelegt. Sie ist derzeit unangefochten stärkste Kraft – auch innerhalb der grün-gelben Regierung Italiens.

Wieder souveräne Politik im Interesse Italiens machen, das „Diktat“ aus Brüssel abschütteln – das war und ist erklärtes Ziel der gemeinhin als populistisch bezeichneten neuen politischen Führung. Nach den Erfahrungen der Finanzkrise, die hier in Deutschland immer noch ganz anders wahrgenommen wird als in den südlichen Ländern, ist durchaus nachvollziehbar, dass dieses Vorhaben den Wunsch vieler Wähler/innen entspricht. 2011 stürzte die Regierung Berlusconi, weil sie nicht in der Lage war, finanzpolitische Maßnahmen wie von den europäischen Kollegen gefordert umzusetzen. In die Erleichterung, den verbrauchten Cavaliere endlich losgeworden zu sein, mischte sich schon damals Unbehagen, wie viel Demokratie noch in Parlamentsbeschlüssen steckt, die zwischenstaatlich und unter massiver Ausrichtung an den Finanzmärkten ausgehandelt wurden.

Der Erfolg des eurokritischen Movimento 5 Stelle und der anti-europäischen Lega fußt auf diesem Unbehagen, das in den Folgejahren kaum geschwächt wurde. Sie verbinden es mit einem klassischen Erfolgsprinzip: Wenn ich einen Schuldigen gefunden habe, muss ich mir weniger Gedanken darüber machen, was ich selbst zu der Misere beigetragen habe. Sie vergeben damit eine große Chance: Der italienische Haushalt hätte ebenso wie die Konfrontation in der Flüchtlingsfrage dazu genutzt werden können, in der EU ein Umdenken einzuleiten. Oder, wenn das Umdenken schon einsetzt, ihm zu Durchbruch zu verhelfen. Ein Investitionsprogramm, das seinen Namen verdient, durch Investitionen in Bildung, Forschung, Infrastruktur. Nicht ohne Grund laufen seit Jahren Italien die gut ausgebildeten jungen Menschen in Scharen davon.

Stattdessen: Steuererlass für Steuersünder, die Rücknahme einer Rentenreform, die Einführung einer Grundsicherung. Natürlich ist es berechtigt, in einem von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Süden wenigstens eine grundlegende minimale Absicherung zu schaffen – Hartz IV ist nichts anderes. Was den italienischen Haushaltsplänen fehlt, ist der Blick nach vorn, das Ermöglichende, das, wovon in einigen Jahren die Rentensysteme zehren, was die Arbeitslosigkeit senken, die Menschen zum Bleiben bewegen könnte.

Auf der anderen Seite hat auch die EU Chancen vergeben. In ihrem Willen, sich den anti-europäischen Populisten nicht zu beugen – kommen sie nun aus Groß-Britannien oder eben aus Italien – hatte sie sich ohne Not dazu verleiten lassen, auf die Regierungsbildung im Frühjahr 2018 in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen. Ein euroskeptischer Finanzminister? Staatspräsident Mattarella bewahre! Solche kommunikativen Fehltritte sind Wind in den Segeln eines Matteo Salvini. Auch jetzt, in den Haushaltsverhandlungen, käme es darauf an, konstruktiv anstatt belehrend zu sein. Diplomatisch statt konfrontativ und die gemäßigten Akteure in der italienischen Politik zu stärken, Finanzminister Tria oder auch Premierminister Conte. Denn die EU kann sich nicht mehr auf einen Grundkonsens in der Bevölkerung verlassen. Dass sie ihn in Italien verspielt hat, ist schon eine besondere Leistung. Schließlich war die EU viele Jahrzehnte der Heilsbringer, der Italien von seinen inkompetenten politischen Führung retten sollte.

Nicht, dass vielen Italiener/innen ihre derzeitige Regierung als besonders kompetent erschiene. Doch was in den letzten Jahren aus Europa kam, sahen die wenigsten Italiener/innen offenbar als eine Rettung an.

 

Maike Heber

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